Aus dem Westen in den Osten / From the West to the East



Wo bitte ist denn Schwerin?, werde ich gefragt, als ich vor einem Jahr meinen Abschied von meinem alten Arbeitgeber nehme, mich schweren Herzens von meinen Kolleg*Innen verabschiede und meine Freunde und Bekannte treffe und wir unser Wiedersehen planen. Überall poppt diese Frage auf. Wo denn Schwerin sei? Tja, antworte ich, man möge sich der 16 Bundesländer noch einmal erinnern und eines davon habe auch so einen komplizierten Doppelnamen: M e c k l e n b u r g - V o r p o m m e r n. Ach, im Osten? Da ganz oben im Norden? Echt jetzt? 

In den Gesichtern sehe ich die Ahnungslosigkeit kombiniert mit Vorurteilen, dann ein wenig Ratlosigkeit mit Verwunderung. Zugleich ein Hauch von Bewunderung, aber sich des ganzen Unternehmens nicht sicher, ob es nicht (wieder mal) so ein Hirngespinst von mir sei. Und was willst dann da machen bei den Ossis? Ossis? frage ich. Echt jetzt? 

Ja, ich wage echt einen Schritt, einen ziemlich großen Schritt.  Eigentlich eher einen Riesensprung aus meiner beruflichen Professionalität in ein Feld, das ich zwar als Amateurin beherrsche, aber professionell?  Ich bin ja durchaus berufserfahren und weiß, dass Leistung geliefert werden muss. Aber werde ich diese ganz andere, neue Leistung zufriedenstellend bringen können?

Und schon mal vorab: Nicht einen Moment habe ich diesen Schritt bereut.

 

Für mich ist das aber nicht ein Schritt zu den Ossis, sondern das Ergreifen einer Chance, beruflich das  zu tun, was ich als Mensch einfach liebend gern tue. Mich mit Menschen jeglicher Couleur zu treffen, mich mit ihnen zu unterhalten, zu erfahren, wer sie sind, ihnen zuhören und sie anzusehen, sie zu fotografieren und über sie zu schreiben. Der Haken? Ich kann es nicht professionell. Mein neuer Arbeitgeber weiß das und wir beide gehen trotzdem das Wagnis miteinander ein. 

Und kurz nebenbei: Ich habe dieses Ost-West-Empfinden-Gedöns nicht. Vor allem, weil ich nicht so denke. Und weil mir das ständige Hervorheben dessen einfach auf die Nerven geht. Wichtig ist, wer da als Mensch vor mir steht und wie dieser mir begegnet und wie ich ihm/ihr begegnen kann. Es kommt einzig allein auf die Zwischenmenschlichkeit an. Punkt.

 

Wer ist dieser neue Arbeitgeber eigentlich und was ist denn dann da Deine Aufgabe?  Die Fragen wollen andeuten, dass mein Vorhaben noch keine Segnung seitens meiner Freunde erhalten hat. Ist das denn seriös, das Netzwerk für Menschen? Ein etwas schwofiger Name zugegeben, kann alles heißen, kann alles bedeuten, und sagt doch nichts aus. Ja, das stimmt und es bedarf stets einer zusätzlichen Erklärung. Nach der ausführlichen Erläuterung, dass ich Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen sein werde, die Pflegeeinrichtungen und Kinder- und Jugendeinrichtungen betreiben, ist ein hörbares Aufatmen zu vernehmen, meine Freunde lehnen sich zurück und geben mir endlich ihren Segen. Und da das Zauberwort "Diakonie" gefallen ist, erst recht. Man! Als würde ich nach Timbuktu ziehen. Ja, antwortet eine, wäre Dir ja auch zuzutrauen. Aber Schwerin ist uns lieber. 

 

Während des Umzuges wird mir immer bewusster, dass ich zukünftig über Altenheime berichten und schreiben muss. Himmel. Altenheime. Imaginäre Bilder rasen mir durch den Kopf und als Weltmeisterin des Kopfkinos sehe ich, nein! meine Bilder im Kopf werde ich hier nicht aufschreiben und schon mal gar nicht veröffentlichen. Möge ein/e jede/r sich selbst ein Bild machen, wenn sie/er das Wort "Altenheim" liest. 

Es gibt kein Zurück mehr. Ich bin nämlich bereits in meinem neuen Zuhause angekommen. Alle beruflichen Zelte in Bayern sind ordentlich abgebaut und verstaut worden. Also. Die neuen Ufern wollen erobert werden.

Das skurrile Verhalten meiner Nachbarn - die einer Frau aus dem Westen und die auch noch Single ist und zudem mit zwei Katzen und einem Hund hier einzieht, ist einfach von Grund auf zu misstrauen und das machen wir ganz deutlich! - lassen wir hier mal außer Acht. 

Umso herzlicher das Willkommen meiner Arbeitskolleg*Innen. Ein Gefühl in mir breitet sich aus, als wäre ich nach langer Abwesenheit wieder zurückgekommen und alle freuen sich darüber. Kein einziger Moment des Misstrauens oder gar des Zweifelns. 

Die Arbeit kann beginnen und meine Kopfbilder melden sich wieder. Beim ersten Betreten einer unserer Pflegeeinrichtungen gehe ich noch mal raus, da ich meinte, mich verirrt zu haben. Nein, ich befand mich in der richtigen Adresse. Ein Moment der totalen Irritation, denn Kopfbilder versus Realität rauschten durch mein inneres Auge. Und fortan weiß ich, dass ich die Protagonistin meiner eigenen Arbeitswelt sein werde. Ich nehme mich und meine Erfahrungen zum Gegenstand, um das Bild der Pflege zu aktualisieren. Was für ein hehrer und anmaßender Ansatz, denkst du gerade? Ja, mag sein und auch noch kombiniert mit einer Art Verklärung. Natürlich. Bin ja auch erst seit genau einem Jahr in diesem Geschäft. Liebe/r Leser/in, lass mir noch ein bisschen meine Illusion. Aber ist es wirklich so illusionär? Nein, denn die Veränderung der Pflegeinrichtungen in den letzten 30 Jahren sind mehr als bemerkenswert. Sie sind darstellenswert, erwähnenswert und unbedingt berichtenswert. Ich erkenne und nehme den Sinn meines Tätigkeitsbereiches an. Denn es geht nicht um das Füttern meines Egos zu schreiben und zu fotografieren. Es ist nicht Trallala, über das ich zu berichten habe. Mein allmähliches Erkennen unseres täglichen Miteinanders in unseren unterschiedlichen Gesellschaften, verändert mich persönlich. Ein Veränderungsprozess, über das der alte Briest sagen würde: Das ist ein (zu) weites Feld. 

Der Anfang meines beruflichen Neubeginns ist gemacht und ich werde seitens meiner engsten Arbeitskollegin Simone geduldig geführt und begleitet. Sie erklärt mir Zusammenhänge und vor allem eins: Sie lässt sich auf mich ein. Wir sind Gegensätze, die aber herzlichst losprusten können und zickig miteinander streiten können. Sie aber ist die Meisterin ihres Faches.

Meine Vorgesetzte, die 20 Jahre jünger ist, korrigiert meine Artikel immer wieder in stoischer Ruhe, ist offen für andere Sichtweisen und (m)eine Meisterin der Kommunikation. Beide lassen mich wirken und gestalten und zugleich sind es aber sie, die, die mich scheinbar unmerklich leiten und führen. Manchmal habe ich das Gefühl, eine junge Azubine zu sein. Ich darf wieder lernen, ein ganz anderes berufliches Feld entdecken und dennoch in der Verantwortung bleiben. Passt perfekt zu mir.

 


Where is Schwerin? I was asked when I said goodbye to my old employer a year ago, said goodbye to my colleagues with a heavy heart and met my friends and acquaintances and we planned our reunion.

This questions pops up everywhere. Where is Schwerin? Well, I answer, you should remember the 16 federal states of Germany again and one of them also has a complicated double name: Mecklenburg-Vorpommern. Oh, in the east? Way up to the north? Really now?

 

In their face I see ignorance combined with prejudice, then a little perplexity with astonishment. At the same time a touch of admiration, but not sure about the whole undertaking whether it wasn´t (once again) a fantasy of mine. And then what do you want to do with the Ossis (ment: citizin of East-Germany)? Ossis, I asked? Honestly?

 

Yes, I´m really taking a step, a pretty big step. Actually, a giant leap from my professionalism into a field that I master as an amateur, but professionally? I´m quite professionally experienced and know what performance has to be delivered. But will I be able to deliver this completely different, new perfomance satisfactorily?

And first of all: I have never regretted this step for a moment.

For me, however, this is not a step towards the Ossis, but rather seizing an opportunity to do professionally what I simply love to do as a person. Meeting people of all kinds, talking to them, finding out who they are, listening to them and looking at them, photographing them and writing about them. The hook? I can´t do it professionally. My new employer knows this and we both still take the risk together.

And by the way: I don´t have this East-West-feeling-thing. Mainly because I don´t think like that. And because constantly highlighting just annoys me. What is important is who is standing in front of me as a person and how they meet me and how can I meet them. It´s all about interpersonal relationsship. That´s it.

Who is this new employer actually and what is your job then? The questions are intended to indicate that my project has not yet received a blessing from my friends. Is this serious, a company called "network for people"? Admittedly, a somewhat vague name can mean everything, can mean anything, and yet says nothing. Yes, that´s true and it always requires additional explanation. After a detiled explanation that I will be a public relations employee for organizations that run care facilities and child and youth facilites, there´s an audible sigh of relief, my friends sit back and finally give me their blessing. And since the magic word "Diakonie" has been used, even more so. Wow. As if I would move to Timbuktu! Yes, one responds, you would be capable of doing so too. But we prefer Schwerin.

 

During the move, I became more and more aware that I would have to report and write about retirement houses in the future. Heaven. Nursing homes. Imaginary images race through my head and as world champion of mental cinema I see, no! I won´t write down the images in my head here or even publish them. Let everyone form their own picture when they read the word "retirement home".

 

There is no going back. I´ve already arrived in my new home. All professional tents in Bavaria have been properly desmantled and stowed away. So. The new shores want to be conquered.

 

The bizarre behaviour of my (new) neighbors - that of a woman from the West (ment: West-Germany) who is also single and who moves in here with two cats and a dog- is simply fundamentally suspicious and we make that very clear! - let´s ignore it here.

The welcome from my work colleagues is all the warmer. A feeling spreads through me as if I had returned after a long absence and everyone is happy about it. Not a single moment of distrust or even doubt.

The work can begin and my head images appear again. The first time I enter one of our care facilities, I go out again because I think I´ve lost my way. No, it was the right adress. A moment of total irritation, as mental images versus reality flashed through my mind. And from now on I know I will be the protagonist of my own working world. I take myself and my experiences as the subject in order to update the image of care. What a noble and pretentious approach, you are thinking? Yes, maybe and also combined with a kind of transfiguration. Sure. I´ve only been in this business for exactly a year. Dear reader, please let me in my illusions a bit longer. But is it really that illusionary? No, because the changes in care facilities over the last 30 years are more remarkable. They are worth presenting, worth mentioning and defintely worth reporting.

I recognize and accept the meaning of my area of activity. The seriousness of my work. Because writing and taking photos isn´t about feeding my ego. It is not trallala that I have to report on. My gradual recognition of our daily interactions in our different societies changes my mind. A process of change about which the old Briest would say: This is a (too) broad field (Writer: Theodor Fontane, Effi Briest)

The beginning of my new career has been made and I´m patiently guided and supported by my closest work collegue Simone. She explains things to me and above all, one thing: She gets involved with me. We are opposites, but we can laugh out loud and argue with each other. And she is the master of her field!

My boss, who is 20 years younger than I am, always corrects my articles in stoic calm, is open to other perspectives and she is a master of communication. 

Both allow me to influence and shape myself and at he same time they are the ones who guide me seemingly and imperceptibly.

Sometimes I feel like a young trainee. I can learn again, discover a completely different professional field and still retain responsibilty. Fits me perfectly.


Have a look at: www.netzwerkfuermenschen.de

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Kommentare: 1
  • #1

    Sylvaine (Montag, 11 Dezember 2023 09:44)

    Neugierig sein aufs Leben und Vorurteile wegschieben...schön!

Annette Markert Photograph

Annette.Markert@yahoo.de

 

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